Erstmals seit Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 musste der Staat eingreifen, um eine Pflegekasse vor der Zahlungsunfähigkeit zu retten. Die Pflegekasse der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) wurde mithilfe des Ausgleichsfonds der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) vor der Insolvenz bewahrt. Der Fall gilt als ein alarmierendes Signal für den Zustand des gesamten Systems – und macht deutlich, wie dringend strukturelle Reformen notwendig sind.
Die SVLFG mit Sitz in Kassel versichert rund 500.000 Menschen. Im Februar 2025 reichten ihre liquiden Mittel nicht mehr aus, um laufende Verpflichtungen zu erfüllen. Die Folge: Sie musste beim Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) einen Antrag auf Liquiditätshilfe stellen. Der Antrag wurde bewilligt – die Gelder stammen aus dem Ausgleichsfonds der Pflegeversicherung. Die Unterstützung gilt zunächst befristet bis Ende 2025 und muss zurückgezahlt werden.
Was nach einem Einzelfall klingt, könnte sich schnell zu einer Kettenreaktion entwickeln. Bereits jetzt mehren sich Hinweise darauf, dass weitere Pflegekassen finanzielle Engpässe befürchten.
Die finanzielle Notlage der SVLFG ist kein Zufall, sondern Ergebnis mehrerer struktureller Belastungen:
1. Anstieg der Pflegebedürftigkeit:
Zwischen 2021 und 2023 ist die Zahl der Pflegebedürftigen um rund 15 % gestiegen – auf knapp 5,7 Millionen Menschen. Die demografische Entwicklung und ausgeweitete Anspruchskriterien tragen wesentlich dazu bei.
2. Leistungssteigerungen:
Pflegegeld und andere Leistungen wurden in den vergangenen Jahren mehrfach erhöht, um die Versorgung zu verbessern. Diese Mehrausgaben wurden jedoch nicht durch entsprechende Beitragserhöhungen gedeckt.
3. Reduzierte Rücklagenbildung:
Seit 2024 dürfen Pflegekassen nur noch 40 % einer Monatsausgabe als Reserve vorhalten. Das erschwert es, kurzfristige finanzielle Engpässe abzufangen.
4. Folgen der Pandemie:
Zahlreiche Sonderausgaben während der Corona-Pandemie – etwa für Schutzmaterialien, Tests und Prämien für Pflegekräfte – mussten von den Pflegekassen finanziert werden. Die erwartete Erstattung durch den Bund blieb weitgehend aus.
5. Steigende Personalkosten:
Der wachsende Fachkräftemangel in der Pflegebranche führte zu höheren Löhnen, was die Kostenseite der Kassen zusätzlich belastet.
6. Unzureichende Bundeszuschüsse:
Laut Kassenverbänden schuldet der Bund den Pflegekassen rund sechs Milliarden Euro für versicherungsfremde Leistungen, etwa pandemiebedingte Ausgaben. Bisher wurde diese Forderung nicht eingelöst.
Vertreter der Pflegekassen sprechen inzwischen offen von einer systemischen Schieflage. Jens Martin Hoyer vom AOK-Bundesverband betonte, die Rettung der SVLFG sei ein Alarmsignal für das gesamte Pflegesystem. Auch andere Kassen könnten bald in ähnliche Schwierigkeiten geraten – besonders, wenn sich die Einnahmen nicht stabilisieren oder weitere Rücklagen abgebaut werden.
Das BAS, das die Rechtsaufsicht über die Pflegekassen führt, sieht die Entwicklung ebenfalls kritisch. Präsident Frank Plate bestätigte, dass es wahrscheinlich sei, dass in absehbarer Zeit weitere Kassen Hilfen beantragen müssen.
Angesichts der eskalierenden Lage hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach angekündigt, zeitnah konkrete Maßnahmen zur finanziellen Stabilisierung der Pflegeversicherung vorzulegen. Ziel ist eine nachhaltige Reform, die steigenden Bedarf und stabile Finanzierung zusammenführt.
Im Gespräch sind unter anderem:
Die Rettung der SVLFG markiert einen Wendepunkt in der Geschichte der Pflegeversicherung. Was bisher als Ausnahme galt, könnte künftig zur Regel werden, wenn keine grundlegenden Reformen erfolgen. Die Ursachen sind vielfältig – doch der politische Handlungsdruck ist klar: Ohne Gegenmaßnahmen wird das Pflegesystem nicht dauerhaft finanzierbar bleiben.
Carefinder empfiehlt: Pflegeeinrichtungen, Versicherte und Angehörige sollten die kommenden politischen Entwicklungen aufmerksam verfolgen. Transparente Kommunikation und frühzeitige Beratung können helfen, Unsicherheiten zu begegnen und Leistungen rechtzeitig zu sichern.
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